Gewichtszunahme durch intuitive Ernährung
Ich möchte hier meine eigene Geschichte mit dir teilen. Meine Ernährung war viele Jahre durch Regeln geprägt. Regeln, die mir versprachen schlank und gesund zu bleiben- dachte ich. Ich merkte lange Zeit nicht, wie sehr ich meinen Körper damit quälte. Bis ich an den Punkt kam, an dem ich es satt hatte und mein Körper auch. Reizdarm, ausbleibende Periode und 24/7 Gedankenkreise übers Essen. Ich war am Limit. Ich beschäftigte mit den Themen TCM (traditionell chinesische Medizin) und intuitiver Ernährung. Ich verstand immer mehr, dass mein Körper regelmäßig Nahrung braucht und „Hungern“ extremen Stress für mein System bedeutet.
Auch wenn ich wusste, dass die intuitive Ernährung der Weg ist, den ich gehen möchte, um mich endgültig von meinen Ernährungsregeln und meinem Sportzwang zu befreien, hatte ich höllisch Schiss davor. Meine größte Angst war, dass ich, wenn plötzlich alles erlaubt war, nur noch zu Kuchen und Pizza greifen würde und damit unaufhaltsam zunehmen würde.
Auch, wenn wir es uns vielleicht wünschen- die Umstellung auf eine intuitive Ernährung erfolgt nicht von einem Tag auf den anderen. Das Integrieren meiner "scary foods" erfolgte Schrittweise und noch mit schlechtem Gewissen. Sonst wäre mein Kopf glaube ich nicht mitgekommen. Was ich aber relativ schnell umsetzen konnte, war es, mein Hungergefühl nicht mehr zu ignorieren. Am Anfang aß ich im Zweifel eher einmal mehr als zu wenig, weil ich meinem Körper geschworen hatte, ihn nie wieder unterzuernähren. An Tagen, an denen ich über mein Sättigungsgefühl hinaus aß, stellte sich am Anfang noch schnell ein schlechtes Gewissen ein. Gedanken wie "du kriegst es nicht hin", "natürlich nimmst du so zu", schlichen sich immer wieder ein.
Und ja: es erfolgte eine langsame, aber stetige Gewichtszunahme. Hab ich „Juhu“ geschrien? Nein.. War es eine Herausforderung zu realisieren, dass ich nicht mehr in meine alten Klamotten passte (die teilweise noch aus meiner Jugend stammten)? Ja. Aber eine Weg zurück gab es für mich nicht.
Ich beschäftigte mich in dieser Zeit auch viel mit dem Thema Körperbild und verstand, dass die Figur, die ich vorher hatte, durch Hungerphasen geprägt war. Ich musste also entscheiden: will ich einen gesunden Körper und damit mehr Kilos oder will ich wieder in die Restrektion gehen.
Zweiteres war keine Option mehr für mich. Also begann ich mehr und mehr zu vertrauen, dass die Figur, die sich jetzt entwickeln wird, meine „natürliche Figur“ ist. Mein Körper sollte nicht länger ein Ausstellungsstück sein, sondern mein zu Hause, das gepflegt und genährt wird. Das spannende war, die Transformation die mein Körper durchmachte. Zunächst hatte ich Gefühl nur am Bauch zuzunehmen (das liegt aber auch daran, das mein Fokus immer auf diesem Bereich lag), aber irgendwann nahm ich auch, gut verteilt, an anderen Stellen zu. Mein Körper wurde weiblicher. Anfreunden konnte ich mich damit nicht direkt. Denn einer meiner Glaubenssätze "Ich muss stark sein" spiegelte sich bislang auch in meinem Körper wieder. Ich wollte einen "harten" Körper und keinen weichen, weiblichen Körper. Das assoziierte ich lange mit Schwäche. Mein Körper war lange Zeit mein Schutzpanzer, hart und drahtig. Bloß keine Angriffsfläche bieten. Auch das war ein Thema, was ich mir anschauen durfte. Wovor meinte ich mich schützen zu müssen? Wieso wollte ich nicht weiblich sein? Das auszulegen würde hier den Rahmen sprengen. Aber inzwischen habe ich mit meiner Weiblichkeit und entsprechenden Rundungen Frieden geschlossen. Ich bin sehr happy, wie sich mein Körper im Laufe der letzten Jahre "zurechtgeformt" hat. Der weiß eben, was er tut, wenn er entsprechendes Material (Essen) dafür bekommt.
Es ist dabei wichtig zu verstehen, dass hinter der Angst vor einer Gewichtszunahme deutlich mehr steckt, als wir zunächst vermuten würden. Bei mir kam noch der Glaube dazu, mit mehr Kilos nichts „besonderes“ mehr zu sein. Ich definierte mich über meinen Körper und hatte wahnsinnige Angst davor, in dieser Welt nicht mehr so gut „anzukommen“, wenn mein Körper sich veränderte. Was würde die anderen von mir denken? Allerdings wurde immer klarer, dass es egal war, in was für einem Körper ich steckte, mein Kopf hatte das Talent einzureden, dass andere immer etwas an mir finden werden, was sie negativ beurteilen könnten. War ich sehr dünn, hatte ich Angst, dass man mir ansieht, wie sehr ich mich dafür quälen muss. „Mit so jemandem will ja wohl niemand Zeit verbringen- Spaßbremse.“.
Wog ich mehr, hatte ich Angst, undiszipliniert und faul zu wirken. "Die könnte aber auch mal ein bisschen mehr für ihre Figur tun.". Kurz gesagt: Ich projektzierte meine eigene Unzufriedenheit auf andere. Ich war nicht zufrieden mit mir, also konnten es andere auch nicht (mit mir) sein.
Auf meiner Reise entwickelte ich immer mehr Mitgefühl für mich. Die Selbstablehnung und die damit verbundene Stimme, die mich bisher in meinem restriktivem Essverhalten antrieb, wurde immer leiser.
Dafür musste ich aber erstmal verstehen, warum ich diesen ganzen Zirkus überhaupt angefangen hatte. Und dafür gab es viele Gründe. Im Endeffekt gab mir mein Essverhalten Halt, Kontrolle und Sicherheit. Über meine Gesundheit und über meinen Körper. In einer Welt, in der sich sonst kaum etwas kontrollieren lässt. Aber wirklich sicher fühlte ich mich nie. Entweder ich strebte ein bestimmtes Körperideal und war frustriert, dass nichts was ich tat, wirklich ausreichte. Oder ich war zumindest nah meinem persönlichen Idealbild und hatte dann Angst, es wieder zu verlieren.
An die Stelle der Angst rückte nach und nach Vertrauen. Ich erkannte immer mehr wie viel erfüllter das Leben ist, wenn ich mich authentisch zeige, auf allen Ebenen. Und ja, es gibt auch heute noch ab und zu „Bad Body Days“, aber sie bestimmen nicht mehr über meinen Alltag und enden vor allem nicht in der nächsten Hungerphase. Ich kann meine Ängste und Wünsche darin sehen und mich auffangen. Und das ist es, was am Ende den Unterschied macht.