Ursachen der Orthorexie

In diesem Artikel beleuchte ich mögliche, begünstigende Faktoren für eine Orthorexie. 
Anmerkung: Auf diesem Gebiet bedarf es noch viel Forschung. Der unten stehende Artikel beruht sowohl auf Literatur als auch auf Erfahrungsberichten von Patienten. 

Einfluss von Ernährungslehren und Medien

Befragungen mit Betroffenen haben gezeigt, dass besonders das Folgen von Ernährungsvorschriften, die Gesundheit versprechen und gleichzeitig sehr hart und drastisch sind, eine Orthorexie begünstigen können. Eine Ernährungsideologie, die keine Abweichungen toleriert, gibt zunächst vermeidliche Sicherheit, führt aber auch schnell dazu, dass sich die Anhänger extrem unter Druck setzen und jeder Fehltritt eine Sünde darstellt, die behoben werden muss. Dies kann dann beispielsweise durch Fasten oder noch strengere Regeln erfolgen. Es wird angestrebt die "körperliche (und geistige) Reinheit" wieder herzustellen. Dies erfordert einen starken Fokus auf die Ernährung und lässt kaum noch Raum für andere Aktivitäten. Der Beitritt zu Gruppen, z.B. auf Facebook, die "bei der Umsetzung unterstützen" sollen, erhöhen den Druck. Da die Mitglieder für das strenge Verfolgen der Regeln gelobt werden, Fehltritte jedoch eher mit Verachtung, bzw. absurden "Wiedergutmachungs- Tipps" kommentiert werden.

Es ist aber ebenso möglich, dass offizielle Ernährungsempfehlungen von Betroffenen strenger ausgelebt werden, als sie vermittelt werden. 
Zum Beispiel: Empfehlung > weniger Zucker essen > Umsetzung > gar kein Zucker mehr essen / Empfehlung > mehr Gemüse essen > Umsetzung > nur noch Gemüse essen. 

Auch die Medien stellen sich immer mehr darauf ein, dass Menschen sich mit dem, was sie Essen identifizieren. So nehmen Siegel und Label, die Gesundheit versprechen, zu. Auf immer mehr Verpackungen findet man Hinweise wie "vegan", "paleo", "frei von", "superfood", die dem Käufer ein Gefühl von Reinheit vermitteln. Mit dem Kauf von Biolebensmitteln verbinden viele Käufer eine Identität als gut handelnder, auf Echtheit und Natürlichkeit setzender Mensch. 

Werden Lebensmittel in öffentlichen Infoblättern zur gesunden Ernährung in "gut" und "schlecht" unterteilt, kann bei einigen Menschen der Eindruck entstehen, sie seien nur "gut" (etwas wert), wenn sie sich gesund ernähren. Jegliche Abweichung von den Empfehlungen wird als Fehltritt und Versagen interpretiert und mit Disziplinlosigkeit betitelt. Der Einfluss von Ernährung kann so leicht überbewertet werden. 

Grundsätzlich ängstliche Personen, die sich schnell Sorgen machen, können auch sehr sensibel für Berichterstattungen über Lebensmittelskandale oder Tierhaltungen sein. Warnungen über potentielle Gesundheitsgefahren in bestimmten Lebensmitteln können auch hier wieder extrem ausgelegt werden (Beispiel: eine verunreinigte Charge Reis führt dazu, dass nie wieder Reis gegessen wird). Dies kann zu einer generellen, starken Verunsicherung führen und damit zum Weglassen von immer mehr Lebensmitteln. 

(Inspiriert von: C. Klotter, J. Depa und S. Humme (2015), Gesund, gesünder, Orthorexia nervosa, Springer) 


 

Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen

Personen mit orthorektischem Verhalten sind oft sehr perfektionistisch veranlagt. Sie beschreiben, dass sie sich durch ihre (perfekte) Ernährungsweise überlegen/besser fühlen und damit ihr Selbstbewusstsein steigern können.
Durch das Wissen zum Thema Ernährung und die strikte Umsetzung fühlen sie sich einer bestimmten Gruppe (z.B. (Rohkost-)Veganer, Makrobiotiker oder Paleo-Anhänger) zugehörig. Es wird versucht, sich damit eine Identität zu erschaffen. Durch die besondere Ernährung ist man nicht mehr irgendjemand- man gehört einer sozialen Gemeinschaft an. Grundsätzlich ist der Versuch sich von anderen abzugrenzen, bzw. sich zugehörig fühlen zu wollen, nichts Problematisches. Die Krux bei der Orthorexie ist jedoch, dass sich Betroffene allein über ihre Ernährung(-sweise) identifizieren. Bricht dieser Bereich weg, scheint die komplette Identität zu verschwinden.

Neben dem Perfektionismus scheinen auch verschiedenen Ängste, Betroffene besonders zugänglich für ideologische Ernährungsweisen und Regeln zu machen. Der Perfektionismus zeigt sich in dem Anspruch an optimale Gesundheit/Ernährung und einen perfekten Körper. Es besteht zudem der tiefe Wunsch nach Kontrolle, verbunden mit der Illusion der absoluten Sicherheit (Ziel: Herbeiführen von optimaler Gesundheit und langer Lebensdauer über gesunde Ernährung). Mit diesem Fokus wird von anderen Lebensbereichen abgelenkt, bei denen Sicherheit und Kontrolle nicht gewährleistet sind.

Hatten Betroffene überbesorgte, perfektionistische und kontrollierende Eltern, kann dies ein orthorektisches Essverhalten ebenfalls begünstigen.  Auch ein starker Fokus auf das Thema Ernährung in der Ursprungsfamilie kann einen (negativen) Einfluss haben.

(Quelle: C. Klotter, J. Depa und S. Humme (2015), Gesund, gesünder, Orthorexia nervosa, Springer) 

Gesellschaftliche Einflüsse

In unserer heutigen Gesellschaft wird Gesundheit mit Leistung, Selbstdisziplin, Sittlichkeit und Arbeitsfähigkeit assoziiert. Es ist somit gesellschaftlich hoch anerkannt sich gesund zu ernähren und alles in der Macht stehende zu tun, um den eigenen Körper fit zu halten. Der Fokus auf die (optimalen) Körpermaße tut sein übriges. Mittels BMI wird der menschliche Körper in "untergewichtig", "normalgewichtig", "übergewichtig" und "adipös" unterteilt. Und somit wird auch darüber geurteilt, wer die geringste Sterblichkeit aufweist (und damit der bessere Mensch ist!?). Auch hier findet eine Kategorisierung des Menschen statt, die nur einen kleinen Bruchteil des ganzen beleuchtet und deren Aussagekraft verschwindend gering ist (siehe Blogartikel zum BMI).

Die Stigmatisierung die in unserer Gesellschaft sowohl im Bezug auf das Körpergewicht, als auch auf das Essverhalten stattfindet und das Gefühl der Wertlosigkeit, sobald man nicht "der Norm" entspricht, sorgt bei immer mehr Menschen für einen sozialen Rückzug. Oder eine extreme Bewegung in eine zwanghaft gesunde Lebensweise. Der Wunsch perfekt zu sein, und damit noch besser als die "Norm" zu sein, kann ebenso ein möglicher Einstieg in die Orthorexie sein.

Schlussfolgerung

Betroffene der Orthorexie haben ein starkes Bestreben darin "alles richtig/perfekt zu machen". Sie erhoffen sich dadurch maximale Kontrolle über ihre Gesundheit. Dies führt dazu, dass Ernährungsempfehlungen überinterpretiert werden oder besonders harten und strengen Ernährungslehren gefolgt wird. Der Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (und Abgrenzung zu anderen) kann bei der Wahl der Ernährungsweise ebenfalls eine Rolle spielen. Durch die gesellschaftliche Anerkennung von gesundheitsförderlichem Verhalten fühlen sich Betroffene oft in ihrem Handeln bestärkt. Gleichzeitig kann die Angst davor, gesellschaftlich abgelehnt zu werden (z.B. auf Grund des Körpergewichts) ein rigides Essverhalten fördern.

Wenn du dich in diesem Artikel wiederfindest und den Wunsch hast, wieder unbeschwert zu essen, melde dich gerne für ein kostenloses, unverbindliches Infogespräch bei mir.